Das erste Barefoot-Mandat

Das war bevor ich meine neue berufliche Mission offiziell kommuniziert hatte. Ich erhalte einen Anruf. Ich erkenne die Stimme sofort, obwohl wir uns in der Vergangenheit nur ein paar Mal begegnet sind. Am anderen Ende der Leitung ist ein Unternehmer, der in derselben Branche tätig ist, in der ich 15 Jahre lang gearbeitet habe. Ich bin überrascht über den Anruf und spüre ein Zögern in seiner Stimme. Er erklärt mir gleich zu Beginn, dass er seit über zwei Jahren darüber nachdenkt, mich anzurufen, und sich nun endlich dazu entschlossen hat. Er sagt mir, dass er Unterstützung braucht – und glaubt, dass ich ihm helfen kann.

Die Begegnung

Einige Tage später treffen wir uns. Wir sprechen gut zwei Stunden lang. Ich erkenne, dass er sich in einer fundamentalen Krise befindet. Die Stimmung ist im Keller, der Sinn im Berufsleben wird infrage gestellt. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist geschwächt. Die Zahlen des Unternehmens sind seit vier Jahren im Rückgang. Die Existenz steht auf dem Spiel.

Ich höre zu.

Beginn des Projekts

Nach einer Pause skizzieren ich drei mögliche Schritte auf ein Blatt Papier.

Der erste Schritt richtet sich an den Unternehmer selbst und insbesondere an die Selbstkenntnis. Die beiden anderen Schritte richten sich direkt an das Krisenmanagement seines Unternehmens.

In Anbetracht der beschriebenen Situation und der offensichtlichen Dringlichkeit glaube ich, dass mein Mandant geradewegs beim Krisenmanagement loslegen möchte und den Umweg der Selbstreflexion überspringt.

Aber nein! Die erste grosse Überraschung in meiner neuen Tätigkeit bei Barefoot: Er will sich zuerst Zeit für sich selbst nehmen.

Im Freien

Eine Woche später sind wir gemeinsam mit dem Velo unterwegs – an den steilen Hängen über dem Genfersee. Wir haben Glück mit dem Wetter: perfekt! Er lächelt und sagt: „Das habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht!“ Nach einer Stunde Pedaltritt kehren wir in einem kleinen Bistro bei einer Tasse Tee ein. Die Arbeit beginnt. Bevor die Sonne untergeht, sitzen wir wieder auf dem Rad. Mein Mandant geht mit sechs kleinen Zetteln in der Jackentasche nach Hause. Auf jedem steht ein Wort. Zusammen fassen diese sechs Worte seine wichtigsten Charakterstärken zusammen – so wie wir beide sie sehen.

Mindset

Am nächsten Tag erzählt mir mein Mandant am Telefon, dass er bei dem Gedanken lächelt, dass diese sechs Zettel wie ein Schatz geworden sind, den er in seiner Tasche aufbewahrt. Bei unserem nächsten Treffen ist seine Geisteshaltung nicht mehr die gleiche. Er berichtet, wie sich in den Tagen nach unserem Treffen mehrere erfreuliche Dinge im Unternehmen und in seinem Leben ereignet haben. Ich bin überrascht über den starken Wandel und wie wenig es dafür brauchte. Mein Vorschlag, die Gelegenheit zu nutzen, um sich dem Krisenmanagement seines Unternehmens zu widmen, wird akzeptiert.

Wir besprechen Herausforderungen, Chancen und die damit verbundenen Fragen.

Ich höre zu.

Die finanzielle Lage und die Marktanalyse sind relativ klar. Der Zusammenhalt und Teamgeist im Unternehmen sind bemerkenswert. Die Krise hat dort keine problematischen Spuren hinterlassen. In diesen Bereichen müssen wir nicht weiter investieren.

Vereinfachen

Gleichzeitig stelle ich fest, dass sich der Unternehmer mit einem breiten Spektrum an Fragen konfrontiert sieht – von Leistungsangebot, Tiefe der Wertschöpfungskette(Hersteller versus Verkäufer versus Reparateur), Organisation, Rechtsform mit potenziellen Partnerschaften. Ich habe den Eindruck, dass die Menge an Fragen die Überlegungen zum Stillstand bringt und ein Vorankommen unmöglich macht. Ich sehe, dass mein Mandant derzeit nicht die Klarheit hat, um den Zugang zu einer Lösung aus der Krise zu finden. Die Arbeit an seinen Charakterstärken und den Stärken seiner Mitarbeiter liefert uns jedoch wertvolle Hinweise!

Ich schlage vor, eine Beschreibung des Status quo zu erstellen und dazu eine Reihe von Hypothesen, um das Spektrum an Fragen einzugrenzen. Er ist einverstanden.

Das Ruder zurückerobern

Beim nächsten Treffen verwirft er einige Hypothesen und korrigiert andere. Ich bin erstaunt, wie leicht ihm das fällt. Die bestätigten Hypothesen stellt er seinem Team vor. Ich erlebe echte Transparenz und volles Vertrauen im Team. Wieder bin ich beeindruckt, wie leicht Entscheidungen fallen.

Basierend auf den bestätigten Hypothesen schlage ich vor, noch zwei Werkzeuge bereitzustellen, bevor ich mich aus dem Projekt zurückziehe und der Motivation sowie kollektiver Intelligenz des Unternehmens freien Lauf lasse. Erstens: ein Egebnis-Rechner (eine Excel-Datei mit Variablen und Konstanten) für das angestrebte Geschäftsmodell. Zweitens: der Entwurf eines Projektplansfür die Implementierung des neuen Modells

Einige Aktionen folgen noch, vor allem zum framing der Kommunikation, bevor das erste Barefoot-Projekt zum Abschluss kommt.

Dankbarkeit

Während ich diese Zeilen schreibe, steht der turnaround meines Mandanten kurz vor dem Abschluss. Das Projekt mit Barefoot verlief anders, als ich es mir vorgestellt hatte – schneller und einfacher. Ich bin dankbar für die Gelegenheit und das Vertrauen, das mir von meinem Auftraggeber entgegengebracht wurden. Ich bin mir bewusst, dass die Kultur und das menschliche Miteinander im Unternehmen meines Mandanten die Arbeit erheblich erleichtert haben.